Constanze Becker hat Heldinnen wie Medea und Penthesilea gespielt, ebenso einen Mephisto in Highheel und Herrenschuh. Hier spricht sie über streitbare Frauenfiguren – und den Geschlechterkampf am Theater.
Für die aktuelle Geschlechterkampf-Ausstellung haben Sie den Audioguide eingesprochen. Ist Ihnen davon etwas besonders eindrücklich in Erinnerung geblieben?
Constanze Becker: Ja, ziemlich zu Beginn der Ausstellung, als es um die ganzen Adam-und-Eva-Darstellungen ging. Da fand ich sehr interessant, wie viele verschiedene Blickwinkel und Darstellungsmöglichkeiten es bezogen auf die Frau gibt. Von weiblicher über dämonische Verführung bis hin zu dem Gemälde von Julius Paulsen, das Adam und Eva auf einer grünen Lichtung zeigt. Dieses Werk habe ich mir in der Ausstellung auch länger angeschaut.
Einige der mythologischen Figuren, die Ihnen beim Einsprechen und in der Ausstellung begegnet sind, kennen Sie aus Ihrer eigenen schauspielerischen Praxis. Lassen Sie sich in der Rollenarbeit auch manchmal von Kunstwerken inspirieren?
Wir beschäftigen uns natürlich auch mit visuellen Quellen. Aber das ist eher ein Beiwerk, das vielleicht Anregung gibt zu Bildern, die man auf der Bühne finden kann. Für die Erarbeitung einer Rolle ist jedoch in erster Linie der Text ausschlaggebend und wie man ihn heute versteht. Diese mythologischen Darstellungen im Bild sind ja auch immer sehr aus ihrer jeweiligen Zeit heraus zu betrachten. Wir heute haben häufig einen anderen Blick auf die Dinge.
In der Kunst des 19. Jahrhunderts wird die Frau oft als bösartige Femme fatale dargestellt – eine Reaktion auf die beginnende weibliche Emanzipation der Zeit. Auch die griechische Mythologie bot diverse zwiespältige Heldinnen als Vorbild, die mithilfe ihrer Verführungskünste eine von Männern dominierte Welt ins Verderben stürzten. Sie haben mit Medea oder Penthesilea eben solche Frauenfiguren gespielt. Wie sehen Sie diese Figuren aus heutiger Sicht?
Ich glaube nicht, dass diese beiden Figuren charakteristisch sind für ein Frauenbild, das in der Zeit, in der sie entstanden sind, aktuell oder interessant war. Da gibt es viele andere Stücke, die sich mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft befassen und auch mit ihrer Emanzipation. Das tun diese beiden Stücke, meine ich, eigentlich nicht. Das hat sehr wenig mit Emanzipation zu tun, sondern eigentlich ist es eine Pervertierung oder eine Umkehrung des männlichen Machtanspruchs, die ausgelöst wurde durch ein Trauma. Bei Medea ist es ein persönliches Trauma: verlassen werden, verraten werden, Eifersucht. Und bei Penthesilea ist es ein gesellschaftliches Trauma aufgrund der Massenvergewaltigungen und Ausrottung der männlichen Mitglieder des Amazonen-Stammes. Die Taten der beiden Figuren sind also eher motiviert durch Rache als gesellschaftliche Prozesse.
Es ist auch nicht so, dass der männliche Autor einfach nur brutale Frauen zeichnet, sonst hätten die Stücke nicht so lange überlebt. Die Figuren haben ja trotzdem menschlich sehr nachvollziehbare, auch sehr weiche Züge. Es geht in erster Linie um Liebe. Nicht um Bösartigkeit, die im Charakter verwurzelt ist, sondern um Kränkungen. Eigentlich um das, was Männer diesen Frauen angetan haben, was dann zu diesen grausamen Taten führte.
Ich glaube, in vielen Bildern dieser Ausstellung ist das etwas anderes. Gerade wenn man sich Franz von Stucks Adam und Eva anschaut: Hier wird die Schlange direkt mit dem Apfel gereicht. Es ist also eine ganz bewusste, fast bösartige Tat von Eva. Eva ist hier nicht die Verführte, sondern nur die Verführerin, die Täterin. Den Hintergrund oder Kontext sieht man nicht mehr. Die Tat geschieht nicht aufgrund eines Traumas, das ihr zugefügt wurde und für das sie sich rächt. Die Frau ist die alleinige, aktive, bösartig verführende Kraft.
Zu der Zeit, in der diese Bilder entstanden sind, wurden solche Stücke wie Medea und Penthesilea anders auf die Bühne gebracht, als wir das heute tun würden. Das hat natürlich etwas mit der Emanzipation der Frau in der Gesellschaft zu tun, also wie das Bild der Frau gerade zu der jeweiligen Zeit in der Gesellschaft wahrgenommen wird. Ich glaube, wir gehen heute eher psychologisch an diese Figuren heran als mit so einer äußerlichen Mann/Frau-Typisierung.
In der Ausstellung sehen wir viele Kunstwerke, die aus männlicher Perspektive Frauen darstellen. Wie sieht das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in der Theaterwelt aus, zwischen Regisseur und Schauspielerin etwa? Haben Sie das Gefühl, dass Geschlechter hier eine Rolle spielen?
Geschlechter spielen immer eine Rolle, ich glaube sogar beim Brötchen kaufen. Es ist nur die Frage, inwieweit das einschränkt oder bestimmend wird. Es kann auch sehr befruchtend sein. Ich arbeite zum Beispiel sehr gerne mit männlichen Regisseuren, ich spiele auch sehr gerne die Stücke von männlichen Autoren. Ich kann sagen, dass ich das Glück habe, nur durch meine Arbeit – und nicht durch irgendwelche Seilschaften, Beziehungen oder sonst was – mir eine Position erarbeitet zu haben, in der das nicht mehr so entscheidend ist. Ein Erfolg von Medea oder Penthesilea ist nicht nur mein Erfolg oder nur der des Regisseurs, sondern es geht um die Zusammenarbeit. Das wissen beide und das wissen alle anderen. Das ist sehr schön und kostbar.
Im Theater und sonst in vielen Arbeitsstrukturen ist das nicht immer der Fall. Gerade für Anfängerinnen ist es häufig nicht so einfach. Theater ist sehr hierarchisch, was viele, die von außen kommen, befremdet, woran wir uns intern aber gewöhnt haben. Es ist auch sehr sexistisch. Die Frage ist nur, wie man sich dagegen wehren kann. In gewissen Positionen geht das ganz gut, in anderen schlechter.
Im Theater wird auch mit Crossbesetzungen gearbeitet: Männer spielen Frauen, Frauen spielen Männer. Haben Sie daran Spaß? Gibt es Klischeefallen, in die Sie nicht fallen möchten?
Soweit ich weiß, habe ich das erst einmal gemacht, als Mephisto hier in Frankfurt. Ich fand es sehr interessant, das als Frau zu spielen, weil es nicht nur die männliche Verführung zeigt. Im Stück heißt es ja: „Ich führe dich zum Leben. Ich führe dich zu den Frauen. Ich zeige dir die Möglichkeiten des Genusses, des Lebens."
Ich kann aber nicht sagen, dass es da irgendwelche männlichen Stereotype gab, oder weibliche, weil Mephisto als teuflische Figur eigentlich kein Geschlecht braucht. Ich hatte einen schwarzen Smoking an und zwei verschiedene Schuhe: einen Herrenschuh und einen Highheel. Das war meine Idee, die ich irgendwann aufgeben musste – es ging einfach auf den Rücken. Ich fand das aber sehr gut, weil man automatisch diesen teufelsfüßigen Gang bekommt und beide Geschlechter in sich vereint.
Häufig finde ich es aber problematisch, wenn Männer Frauen spielen oder Frauen Männer. Man fällt dann leicht in diese Klischees: Stimme tiefer, Hände in die Hosen, Becken vorschieben, breitbeinig gehen,… Interessanter ist doch das Denken, männliches oder weibliches. Ich hab noch keine Inszenierung gesehen, bei der ich einen Aha-Moment hatte und dachte: Jetzt verstehe ich das Stück, wo es eine Frau spielt! Ich habe aber durchaus Inszenierungen gesehen, wo sich die Geschlechter vermischten, wechselten oder aufhoben, das war sehr interessant.
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