Beklemmend ist der Blick in den eigenen Spiegel: Zwei kleine Totenschädel starren dem Augsburger Maler Hans Burgkmair und seiner Frau Anna entgegen. Was hat es mit diesem ungewöhnlichen Porträt auf sich?
Die Renaissance war das Zeitalter des Porträts: Der Mensch rückte als Individuum in den Fokus von Wissenschaft, Philosophie und Kunst. Nicht nur Adel und Klerus ließen sich malen – auch bei jenen aus dem Bürgertum, die es sich leisten konnten, stieg die Nachfrage nach Porträts. Eine besondere Form des bürgerlichen Porträts ist das Künstlerbildnis. Das spricht für ein völlig neues Selbstverständnis dieses Berufsstandes: Künstler befreiten sich von ihrem anonymen Status als Handwerker und inszenierten sich stolz als Persönlichkeiten von gesellschaftlichem Rang.
Wenn es nach der schieren Menge an (Selbst-)Porträts geht, so darf Hans Burgkmair unter Augsburgs Künstlern das größte Selbstbewusstsein unterstellt werden. Sein Konterfei ist in den unterschiedlichsten Bildmedien überliefert: in einer sinnlichen Zeichnung im Profil, in einem Bildnis als Bräutigam und sogar in einer Bildnismedaille nach italienischem Vorbild. Prestigeträchtig ist auch ein Porträt, das er subtil in die sogenannten „Gedächtniswerke“ Kaiser Maximilians I. einfügte: auf einem Holzschnitt für Maximilians autobiografische Schrift „Weißkunig“ sieht man den „weißen König“ alias Maximilian im Atelier seines Malers. Der an einer Staffelei sitzende Künstler kann anhand der typischen Netzhaube und der hohen Stirn unschwer als Burgkmair höchstselbst identifiziert werden. Nicht zu Unrecht, denn auch im echten Leben war er der Augsburger Lieblingskünstler des Kaisers.
Als eines der ungewöhnlichsten Künstlerporträts der Renaissance darf das Doppelbildnis von Burgkmair und seiner Frau Anna gelten. Der Maler Laux (Lucas) Furtenagel kopierte hier wohl ein heute verschollenes Original, das von Burgkmair selbst stammte. Dieses im Format etwas größere Gemälde muss sich – wie die Inschrift auf einer danach angefertigten Radierung nahelegt – bis zum 18. Jahrhundert in Augsburg im Besitz des Künstlers Georg Christoph Kilian befunden haben.
Der Maler Hans Burgkmair und seine Frau sind als gealtertes Paar dargestellt: Er, so verrät die Inschrift auf dem an der Rückwand befestigten Zettel, im Alter von 56 Jahren, sie, etwa gleich alt, mit offenem Haar. Ihre Aufmachung spricht dafür, dass das originale Gemälde ausschließlich für die Augen der Burgkmairs geschaffen worden war. Bemerkenswert ist vor allem der Konvexspiegel, den Anna vor sich und ihren Mann hält.
In der gebogenen Fläche erscheinen nämlich nicht die Gesichter der beiden Porträtierten, die bildlogisch im Profil wiedergegeben sein müssten, sondern – als würde der Spiegel einen Blick in die Zukunft offenbaren – zwei Totenschädel. Die offensichtlich von diesem Anblick ernüchterten Eheleute involvieren uns in diesen Dialog mit dem Tod, indem sie ihren Blick von ihrem zukünftigen Antlitz abgewandt haben, und uns auffordernd entgegenblicken. Dem wird durch die im Hintergrund zu lesenden Worte Nachdruck verliehen: „[SOLL]CHE GESTALT UNSER BAIDER WAS. IM SPIEGEL ABER NIX DAN DAS“. Will heißen: So sahen wir aus – so werden wir aussehen. Und das gilt auch für euch!
Diese mahnende Botschaft setzt sich auch auf dem Siegelring am Zeigefinger des Malers fort, ein persönliches Besitzstück, das erstaunlicherweise die Jahrhunderte überdauert hat. Das Wappen – zwei ineinander verschlungene Bärenköpfe – war Burgkmair 1516 von Kaiser Maximilian I. für seine Verdienste verliehen worden. In die Seite des Fassungsrandes sind die Worte „MORS VINCIT“ – der Tod siegt – graviert. Dieses persönliche Memento mori trug Burgkmair zeitlebens zur ständigen Ermahnung bei sich.
Das Bildthema des Liebespaares im Angesicht des Todes – die untrennbare Verbindung zwischen Liebe, Lust, Sünde und Tod – war äußerst beliebt in der frühneuzeitlichen Kunst des Nordens. Burgkmair griff es auch in einem eindrucksvollen Farbholzschnitt auf – eine neue Technik, die er zur Perfektion gebracht hatte. Er entwarf dieses Motiv bereits im Jahr 1510, also kurz nachdem er die Alpen überquert und Venedig bereist hatte. Das verrät die kleine, auf dem Kanal schaukelnde Gondel im Hintergrund.
Von Romantik ist im Vordergrund jedoch keine Spur: Der geflügelte, im Verwesen begriffene Tod hat ein Liebespaar gewaltsam entzweiht. Während der junge, zuvor bewaffnete Mann bereits leblos am Boden liegt und den Fängen des Todes nicht mehr entrinnen kann, versucht die Frau noch panisch die Flucht zu ergreifen. Der Erfolg ist allerdings aussichtslos, denn der Tod hat ihr Gewand mit seinen Zähnen gepackt. Über die Schulter grinst er ihr hämisch entgegen als wolle er sagen: „Der Tod siegt – immer!“
Das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit, gepaart mit der Frage nach der Sündhaftigkeit des Menschen begleitete Burgkmair als religiösen Menschen ein Leben lang. Das gealterte Ehepaar in Furtenagels Doppelbildnis hat diesen Erkenntnisprozess offenbar bereits schmerzlich durchlaufen. Das macht vor allem die ungewöhnliche Zurschaustellung der Ehefrau deutlich: Sie ist als Paraphrase der Allegorie der Klugheit (Prudentia) zu verstehen. Üblicherweise wird auch diese als sich selbst bespiegelnde Frau gezeigt. Burgkmair inszeniert sich hier somit als kluger, reflektierter Maler. Um das Eigenlob abzumildern, verbindet er es geschickt mit einer Geste der Demut. Dass der sündhafte Mensch gemäß der christlichen Heilslehre aber auch auf Erlösung hoffen darf, macht die Inschrift auf dem Griff des Handspiegels deutlich: „HOF[F]NUNG DER WELT“ ist dort zu lesen. Tatsächlich sollte sich die ins Bild gesetzte Todesahnung zeitnah erfüllen – Burgkmair verstarb zwei Jahre nach Vollendung des düsteren (Selbst-)Porträts.
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