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Kollwitz – eine moderne Künstlerin

Käthe Kollwitz ist die berühmteste deutsche Künstlerin und wurde oft in Schubladen gesteckt. In der großen Ausstellung „KOLLWITZ“ wird sie in ihrer Vielfalt, Sprengkraft und Modernität vorgestellt. Kuratorin Regina Freyberger erläutert, warum die Künstlerin bis heute eine Entdeckung ist.

Romy Seng — 14. März 2024


Käthe Kollwitz ist vielen ein Begriff. Doch wer war diese Künstlerin und was macht sie aus?

Mit Kollwitz verbinden wir schnell eine eher triste Kunst: Arbeiterbildnisse, Mütter mit toten Kindern, also schwere Themen in Schwarz-Weiß. Dass sie eine große, entschieden moderne Künstlerin war, gerät darüber manchmal in Vergessenheit. Dabei ist keiner Künstlerin in Deutschland um die Jahrhundertwende und Anfang des 20. Jahrhunderts eine vergleichbare Karriere gelungen: und das nicht etwa mit Malerei, sondern mit Grafik – und dazu mit anspruchsvollen, existenziellen Themen. Ihre einprägsame, eigenständige Bildsprache wirkte bis in die USA und China. Kollwitz, wenn man sich auf sie einlässt, ist bis heute eine Entdeckung.

Ausstellungsansichten, Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

Welche Themen stehen in der Ausstellung besonders im Fokus?

Im Zentrum steht Kollwitz’ Modernität. Wir nehmen ihre kühnen persönlichen und künstlerischen Entscheidungen in den Blick: So entschied sie sich früh für die Druckgrafik – und das in einer Zeit, in der Malerei immer noch das bevorzugte und das erfolgsversprechende künstlerische Medium war. Sie wählte aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen und setzte sie neu und packend um. Für ihre Kompositionen fand sie eine ganz eigene Dramaturgie, die auf ausdrucksstark inszenierte Körper, auf Nahsicht und Zuspitzung setzt. Darüber hinaus hatte Kollwitz den Mut, in der Gesellschaft etwas verändern zu wollen, war experimentierfreudig und extrem konsequent.

Käthe Kollwitz (1867–1945), Weiblicher Rückenakt auf grünem Tuch, 1903

Käthe Kollwitz (1867–1945), Zwei Studien einer Arbeiterfrau, 1910

In Deutschland wird dieses Bild der modernen Kollwitz bis heute allerdings vielfach von ihrer Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg überlagert. Deshalb reflektieren wir am Ende der Ausstellung auch die kulturpolitische Vereinnahmung der Künstlerin beiderseits der deutschen Grenze und hoffen damit, den Blick auf Kollwitz weiter zu schärfen.

Der Journalist und Kunstkritiker Benno Reifenberg bezeichnete Kollwitz in der Frankfurter Zeitung 1927 als „unbequeme Künstlerin“. Was meinte er damit?

Reifenberg bezog sich damit konkret auf die sozialkritischen Werke von Kollwitz und ihr Interesse an der Arbeiterschaft. „Lag ein neues Blatt von ihr vor,“ schreibt er, „so herrschte in dem offiziellen Deutschland vor dem Krieg Schweigen – wie nach einem Unglücksfall.“ Das ist ein hervorragendes Bild, denn Kollwitz traf mit ihrer Kunst den Nerv der damals einflussreichen Gesellschaftsschichten. In Berlin, wo sie lebte und arbeitete, waren die Lebensumstände für die unteren sozialen Schichten oft katastrophal. Kollwitz fühlte sich sozialdemokratischen Ideen verpflichtet und diese klingen in ihrem Werk an. Beides – die Motivwahl und der praktisch-politische Ansatz ihrer Kunst – war letztlich anti-bürgerlich und richtete sich gegen den Status quo. Das war unkonventionell und unbequem – erst recht für eine Frau.

Käthe Kollwitz (1867–1945), Tod und Frau, 1910

Käthe Kollwitz (1867–1945), Pariser Kellerlokal, 1904

Käthe Kollwitz (1867–1945), Losbruch, Blatt 5 aus dem Zuyklus „Bauernkrieg“, 1902/03

Wie kam das Städel Museum zu dem umfangreichen Bestand an Kollwitz-Druckgrafiken?

1964 wurde der Stadt Frankfurt eine der damals größten Privatsammlungen zu Käthe Kollwitz in Westdeutschland angeboten. Helmut Goedeckemeyer, eigentlich ein studierter Chemiker, hatte sie nach dem Ersten Weltkrieg aufzubauen begonnen. Sie umfasste über 200 Werke: alle wichtigen in Auflage erschienenen Grafiken von Kollwitz, dazu drei Bronzen und wenige Zeichnungen. Das Städel wurde über Nacht zu einem Zentrum von Kollwitz-Grafik und feierte den gelungenen Ankauf 1965 mit einer großen Ausstellung. Seitdem war die Sammlung allerdings nicht mehr zu sehen. Das holen wir jetzt nach.

Ausstellungsansicht, Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

Was ist Ihr persönliches Highlight in der Ausstellung?

Da gibt es eine ganze Reihe. Das Werk von Kollwitz ist zeichnerisch wie druckgrafisch von einer erstaunlichen Vielfalt. Es gibt Pastelle mit unglaublich koloristischer Kraft, Zeichnungen, die mich in ihrer stillen Eindringlichkeit immer wieder fesseln, und dann das druckgrafische Werk! Bei manchen so realistisch anmutenden Radierungen besteht der Raum letztlich aus abstrakten, unterschiedlich strukturierten Flächen: Kollwitz drückte Stoff oder auch Schmirgelpapier in den wachsartigen Weichgrund der Platte. Davor setzte sie die Figuren ihrer Kompositionen: Und diese Figuren, diese Körper sind häufig reine Gebärde, sind pantomimische Ausdruckszeichen, sind ‚choreografiert‘ – und erinnern dadurch an den modernen Ausdruckstanz, der sich in eben diesen Jahrzehnten entwickelte. Grafik – das wird in dieser Ausstellung deutlich spürbar, ist eine ausdrucksstarke, experimentierfreudige und außerordentlich intensive Kunst.


Dr. Regina Freyberger ist Leiterin der Graphischen Sammlung ab 1800 und Kuratorin der Ausstellung „KOLLWITZ“ (20.3.2024–9.6.2024).

Die Fragen stellte Romy Kahler, Mitarbeiterin der Onlinekommunikation im Städel Museum.

Zum Werk „Brustbild einer Arbeiterfrau mit blauem Tuch“ (1903) von Käthe Kollwitz ist ein STÄDEL MIXTAPE erschienen. 

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