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Auffallend anders

Käthe Kollwitz ging in einer männerdominierten (Kunst-)Welt eigene Wege – mit beeindruckendem Erfolg. Mal zweifelnd, mal entschieden, immer aber selbstbestimmt und unangepasst widersetzte sie sich den Erwartungen, die ihre Zeit an sie als Frau und Künstlerin stellte.

Linda Baumgartner — 11. April 2024

Eine Frage des Geschlechts?

Als Käthe Kollwitz 1898 mit ihrem druckgrafischen Zyklus „Ein Weberaufstand“ der künstlerische Durchbruch gelang, reagierte Kaiser Wilhelm II. ablehnend. Den Vorschlag, den als sozialkritisch und aufrührerisch empfundenen Zyklus auszuzeichnen, wies er zurück – angeblich mit den Worten:

Ich bitte Sie, meine Herren, eine Medaille für eine Frau, das ginge denn doch zu weit. Das käme einer Herabwürdigung jeder hohen Auszeichnung gleich. Orden und Ehrenzeichen gehören auf die Brust verdienter Männer.

Zit. n. Alexandra von dem Knesebeck, Käthe Kollwitz. Die prägenden Jahre, Petersberg 1998, S. 9.

Während Wilhelm II. zu Beginn von Kollwitz’ Karriere eine Würdigung ihrer Person mit dem Verweis auf ihr Geschlecht abzutun suchte (und damit eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrer Kunst und der darin enthaltenen Gesellschaftskritik), arbeitete sich in den folgenden Jahrzehnten auch die der Künstlerin wohlgesonnene Öffentlichkeit an der Tatsache ab, dass sie eine Frau war: Kollwitz’ technische Meisterschaft und die Ausdruckskraft ihrer Kompositionen, auch die eigenwillige Wahl ihrer oft gesellschaftlich aktuellen oder existenziell menschlichen Themen erweckten Bewunderung – und Unbehagen. Sie ließen sich schwer mit dem gängigen Bild von ‚Frauenkunst‘ in Einklang bringen, die gemeinhin als qualitativ minderwertig und vergleichsweise gefällig galt. 

Der Widerspruch wurde in der zeitgenössischen Presse und Literatur vermeintlich aufgelöst, indem Kollwitz’ Arbeit – gleich einem Gütesiegel – als ‚männlich‘ bewertet oder ihr selbst eine ‚mann-weibliche Seele‘ attestiert wurde. Ihre Werke (über-)forderten und stachen hervor. Sie bescherten der Künstlerin einen bemerkenswerten Erfolg und eine für eine Frau zu dieser Zeit außergewöhnliche Karriere.

Käthe Kollwitz, 1906, Foto: Philipp Kester, Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln, Archiv, © Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, Archiv Kester

Künstlerin, Ehefrau, Mutter

Käthe Kollwitz, 1867 im ostpreußischen Königsberg als Käthe Schmidt in ein gutbürgerliches Elternhaus geboren, bewegte sich in einer Zeit, in der Frauen enge rechtliche und gesellschaftliche Grenzen gesetzt waren. Vor allem im Bürgertum hatte sich die Vorstellung durchgesetzt, Frauen hätten sich ausschließlich der Haushaltsführung und Kindererziehung zu widmen – eine Vorstellung, die Frauen aus der Ausbildungs- und Berufswelt ausschloss und in wirtschaftliche Abhängigkeiten drängte. Schon vor Kollwitz’ Geburt hatte die deutsche Frauenbewegung begonnen, sich in Verbänden zu organisieren. Gewissermaßen half sie, Kollwitz’ Karriere den Weg zu ebnen: Die angehende Künstlerin besuchte Lehranstalten, die von den noch jungen Berufsverbänden kunsttätiger Frauen in Berlin und München betrieben wurden, um dem Missstand zu begegnen, dass an den staatlichen Kunstakademien nur Männer zugelassen waren.

Käthe Schmidt (links) mit ihren Geschwistern, um 1880, Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln, Archiv

Käthe Schmidt (sitzend, Zweite von rechts) in der Malklasse des Münchner Künstlerinnen-Vereins, um 1889, Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln, Archiv

Kollwitz’ Vater hatte seiner begabten Tochter diese Ausbildung finanziert und – für die damalige Zeit ebenso ungewöhnlich wie fortschrittlich – ehrgeizige Hoffnungen daran geknüpft. Ihre Entscheidung, den Kassenarzt Karl Kollwitz zu heiraten, sah er daher kritisch. Wie Kollwitz’ Kommilitoninnen, die den Erinnerungen einer Studienfreundin zufolge „das Zölibat als unerläßlich für eine ernst zu nehmende Malerin“ erachteten, war der Vater überzeugt, dass eine Existenz als freie Künstlerin nicht mit einem bürgerlichen Leben als Ehefrau und Mutter zu vereinbaren sei. Den Erwartungen ihres Umfelds zum Trotz wusste Kollwitz – seit 1896 zweifache Mutter – ihre künstlerische Arbeit mit der Organisation des Familienlebens zu verbinden. Dass ihr dieser Spagat gelang, lag auch an der Beziehung zu Karl Kollwitz. Die Eheleute verband ein modernes Verständnis von Partnerschaft, das von gegenseitiger Unterstützung geprägt war und beiden gleichermaßen Raum zur Entfaltung ließ.

Käthe Kollwitz mit ihren Söhnen Hans (links) und Peter, 1909, Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln, Archiv

Käthe Kollwitz, um 1910, Foto: Hänse Herrmann, Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln, Archiv

Karl und Käthe Kollwitz, 1935, Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln, Archiv

Kein Aushängeschild

In den zeitgenössischen Diskurs um die sogenannte ‚Frauenfrage‘ brachte sich Kollwitz mit ihrer Kunst mal beiläufig, mal ausdrücklich ein: Ihre Selbstporträts und Darstellungen von Arbeiterinnen, auch ihre Frauenakte unterlaufen das klassische, von Idealschönheit geprägte Bild von Weiblichkeit, indem sie ernstzunehmende Persönlichkeiten zeigen, charakterstark und echt. Schon in frühen Werken reflektierte die Künstlerin außerdem die aus gesellschaftlichen Zwängen und rechtlichen Benachteiligungen resultierenden Nöte der Frauen, die sie in späteren Arbeiten unmissverständlich anprangerte.

Käthe Kollwitz, Selbstbildnis mit aufgestütztem Kopf, 1889-1891, Käthe Kollwitz Museum Köln

Käthe Kollwitz, Arbeiterfrau mit dem Ohrring, 1910, Städel Museum, Frankfurt am Main

Käthe Kollwitz, Frauenakt, 1910 (?), Städel Museum, Frankfurt am Main

Käthe Kollwitz, Selbstbildnis von vorn, 1922/23, Städel Museum, Frankfurt am Main

Käthe Kollwitz, Schwangere Frau, 1910, Städel Museum, Frankfurt am Main

Käthe Kollwitz, Weiblicher Halbakt, um 1903/05, Käthe Kollwitz Museum Köln

Für die Förderung und Chancengleichheit von Künstlerinnen setzte sich Kollwitz durch ihre zeitweilige Lehrtätigkeit im Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin und ihr Engagement in Interessengemeinschaften wie dem überregional tätigen Frauenkunstverband ein. Allerdings, so gab sie 1917 in ihrem Tagebuch an, wollte sie deshalb nur „ungern Anwalt der Frauen in Kunstsachen sein“. So wie Kollwitz nicht als soziale Künstlerin abgestempelt oder für ihre vermeintliche politische Haltung vereinnahmt werden wollte, wollte sie sich auch nicht uneingeschränkt für die Belange von Künstlerinnen einspannen oder als Aushängeschild der Frauenbewegung instrumentalisieren lassen. Ein einseitig-voreingenommener Blick auf ihre Person und ihre Kunst war Kollwitz zuwider – zu Recht, schließlich war sie vielmehr als die Summe ihrer Rollenzuschreibungen.


Linda Baumgartner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Graphischen Sammlung und freut sich, dass die Ausstellung „KOLLWITZ“ im Städel Museum noch bis zum 9. Juni 2024 zu Begegnungen mit der Künstlerin einlädt.

Alle Werke der Künstlerin, die das Städel Museum aufbewahrt, sind in der Digitalen Sammlung einsehbar.

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