Der Vorsitzende des Städelschen Museums-Vereins lernt Max Beckmann 1915 in Frankfurt kennen – und unterstützt ihn später im Exil auf ungewöhnlichem Weg.
Der Ankauf von Max Beckmanns „Selbstbildnis mit Sektglas“ ist in der bald 125-jährigen Geschichte des Städelschen Museums-Vereins ein absolutes Highlight. Einer der neun Herren, die vor Sylvia von Metzler den Vorsitz innengehabt hatten, hätte sich darüber besonders gefreut.
Georg Hartmann (1870–1954), zu seiner Zeit einer der bedeutendsten Kunstsammler in Frankfurt und einer der großen Mäzene des Städel Museums. Er übernahm 1933 in der schwierigsten Phase seiner Geschichte die Führung des Vereins und wurde Mitglied in der Städeladministration. Hartmann stand dem NS-Regime kritisch gegenüber und trug Sorge dafür, dass der Verein zunächst seine jüdischen Mitglieder nicht verlor; er konnte allerdings nicht verhindern, dass im Lauf des Krieges in den 1940er Jahren der Verein seine Aktivitäten aufgrund der allgemeinen Umstände bis auf Weiteres ganz einstellen musste.
Als Beckmann 1915 nach Frankfurt kam, erhielt er Wohnung und Atelier bei seinen Freunden Ugi und Fridel Battenberg in der Schweizer Straße 3. Hartmann war mit ihnen gut bekannt, da sein Vater im Nachbarhaus wohnte. Er begegnete daher auch Beckmann und besuchte mit ihm 1917 einmal das Liebieghaus. Vor einer spätmittelalterlichen Pieta inspirierte er ihn zu seinem Gemälde „Kreuzabnahme“. Der Kontakt zwischen beiden schien dann zunächst einzuschlafen. Doch Hartmann sah aus der Nähe, wie sein Vertrauter, Direktor Georg Swarzenski, seit 1919 eine fulminante Beckmann-Sammlung im Städel Museum aufbaute.
Später musste er aber auch sehen, wie die Nationalsozialisten diese Kollektion im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ 1937 wieder zerschlugen. Auch die „Kreuzabnahme“, die er angeregt hatte und inzwischen Teil der Städel Sammlung war, ging dem Museum damals verloren und hängt heute im MoMa in New York.
Hartmann war Eigentümer der Bauerschen Gießerei. In ihr wurden Schrifttypen entworfen und technisch in Form von Bleilettern oder als Matrizen für die Setzmaschinen hergestellt und an die Druckereien verkauft. In seinem Unternehmen wurde so auch eine der berühmtesten Druckschriften des 20. Jahrhunderts verlegt, nämlich die von Paul Renner entworfene Futura, die noch heute unter anderem im Logo der Stadt Frankfurt verwendet wird. Zum Programm des Hauses gehörte auch die Herstellung kostbarer bibliophiler Bücher, in denen die eigenen Schriften angewendet und vorgestellt wurden.
Die NS-Diktatur und der von ihr entfesselte Zweite Weltkrieg veranlassten Hartmann Anfang der 1940er Jahre dazu, im Rahmen dieses exklusiven Buchprogramms eine Ausgabe der Apokalypse, der Offenbarung des Johannes herstellen zu lassen. Bei der Suche nach einem Künstler, der den Text illustrieren bzw. „illuminieren“ könnte, fiel die Wahl auf Max Beckmann. Dieser war 1937 vor der Kunstpolitik der Nazis nach Amsterdam geflohen, wurde von den Deutschen jedoch wieder eingeholt, als die Wehrmacht 1940 die Niederlande besetzte. Hartmann und er begegneten sich aufgrund der räumlichen Trennung daher nie mehr persönlich; Briefe und Mittelsmänner, darunter auch der Nachfolger von Georg Swarzenski am Städel Museum, Ernst Holzinger, stellten den Kontakt her.
Beckmann fertigte so im Auftrag von Hartmann auf lithographischer Basis 27 schwarzweiße Zeichnungen zur Apokalypse an, die in kleiner Auflage in der Bauerschen Gießerei gedruckt wurden. Anschließend kolorierte er insgesamt einige wenige komplette Serien mit Aquarellfarbe selbst. Mehr als die Hälfte der Blätter wurde von Kopisten in der Bauerschen Gießerei nach einer der beckmannschen Vorlage farblich nachempfunden; eine weitere Anzahl der einzelnen Serien blieb unkoloriert. Schließlich wurden die Serien einzelnen in den Text der Offenbarung, der in einer der Schriften aus dem Programm der Bauerschen Gießerei handgesetzt wurde, einmontiert, das Ganze gedruckt und zu großformatigen Büchern à 82 Seiten gebunden.
So entstanden mehr als 40 Exemplare – kostbare Künstlerbücher, als lithographischer Druck mit Handkolorierung versehen jedes ein Unikat. Es war ein künstlerisches Manifest gegen Terror und Krieg, zumal Beckmann als „entartet“ diffamiert und offiziell marginalisiert war. Das ganze Projekt musste daher auch als Geheimunternehmen betrieben werden. Nur loyale und verschwiegene Vertrauenspersonen waren mit der Herstellung der Bücher oder der Kontaktvermittlung zu Beckmann befasst.
Hartmann stiftete einen Großteil der Auflage noch während des Krieges diskret an einen vertrauenswürdigen Kreis von Freunden und Beckmann-Verehrern, darunter auch Städeldirektor Holzinger. Die einzelnen Ausgaben der „Apo“, wie Beckmann das Projekt in seinem Tagebuch bezeichnete, sind sehr wertvoll. Sie werden heute, sofern sie sich nicht noch in Privatbesitz befinden, daher nicht in regulären Bibliotheken, sondern in den Graphischen Sammlungen der Museen verwahrt. Ausgerechnet im Städel Museum, dem sowohl Beckmann wie Hartmann so nahestanden, befindet sich nur ein unkoloriertes Exemplar. Es wurde 1956, als Hartmann bereits gestorben war, aus dem Archiv der Bauerschen Gießerei an das Haus gegeben.
Die „Apo“ fand wenig später eine Fortsetzung, als Hartmann den Künstler 1943 beauftragte, Goethes Faust II zu illustrieren. Diesmal wurde das Medium der Handzeichnung gewählt. Beckmann lieferte seinem Auftraggeber 143 Blätter. Sie wurden viele Jahre später in technisch aufwändiger Form reproduziert und ebenfalls in Buchform hergestellt. Wieder wurde eine Schriftart der Bauerschen Gießerei für den Text verwendet.
Beckmann übersiedelte 1947 in die USA, wo er an Weihnachten 1950 starb. Hartmann überlebte ihn einige Jahre, nachdem er 1950 dank seines herausragenden Mäzenatentums zum Ehrenbürger der Stadt Frankfurt ernannt worden war. Rodins Eva, Multschers Dreifaltigkeitsrelief und andere Kunstwerke erinnern heute im Städel und im Liebieghaus an ihn; sie entstammen seiner Sammlung. Der Ankauf von Beckmanns Selbstbildnis, zu dem der Städelsche Museums-Verein mit einem großen Anteil beigetragen hat, wäre gewiss ganz in Georg Hartmanns Sinne gewesen. In seiner Person zeigt sich eine lange Verbindung des Vereins zum Künstler. Er hat den Künstler so erlebt, wie er uns – gezeichnet von den Strapazen der Zeit – heute auf seinem Selbstbildnis zuprostet.
Heute sind im Städelschen Museums-Verein rund 9.000 Kunstfreunde aktiv, die mit ihrer Mitgliedschaft die Arbeit von Städel Museum und Liebieghaus unterstützen.
Aktuelle Ausstellungen, digitale Angebote und Veranstaltungen kompakt. Mit dem Städel E-Mail-Newsletter kommen die neuesten Informationen regelmäßig direkt zu Ihnen.