Die Frankfurter „Lucca-Madonna“ und die „Verkündigung an Maria“ aus der National Gallery of Art in Washington sind in der Sonderausstellung „Dialog der Meisterwerke“ Seite an Seite zu bewundern. Sie haben eine überraschende gemeinsame Vergangenheit.
Wir wissen nicht, welcher überaus wohlhabende Kunstkenner die heute in der Sammlung des Städel befindliche „Lucca-Madonna“ (um 1437) bei Jan van Eyck (1391–1441), dem bedeutendsten frühen niederländischen Maler sowie damals vielbeschäftigten und extrem populären Hofmaler des Herzogs von Burgund, in Auftrag gab. Im Falle der Washingtoner „Verkündigung“ (um 1434/36) war es vermutlich der Herzog, Philipp der Gute, höchst selbst, der das Gemälde als Teil eines ansonsten verlorenen Flügelaltars für die Klosterkirche der Kartause von Champmol bei Dijon, die als herzogliche Grablege diente, bestellt hatte. So tauchte die „Verkündigung“ Anfang des 19. Jahrhundert in einer Privatsammlung in Dijon wieder auf, während die „Lucca-Madonna“ zur selben Zeit in der Kunstsammlung des Herzogs von Lucca in der Toskana erstmals wieder fassbar wird.
Beide Bilder wurde von Charles J. Nieuwenhuys (1799-1883), einem der kenntnis- und erfolgreichsten Kunsthändler seiner Zeit, erworben und an einen von dessen besten Kunden weiter vermittelt – an Willem II. von Oranien-Nassau (1792-1849), König der Niederlande. Dessen zunächst in Brüssel, nach der Unabhängigkeitserklärung Belgiens 1830, dann in Amsterdam auch öffentlich zugängliche Kunstsammlung war von herausragender Qualität. Nach dem Tod des Königs 1849 wurde diese Sammlung zum Leidwesen der niederländischen Museen 1850 in Amsterdam versteigert und damit in alle Winde zerstreut.
Die Ankündigung der Auktion der Sammlung Willems II. elektrisierte die damalige Sammler- und Museumswelt in ganz Europa, die entweder persönlich oder durch Kunstagenten bei diesem Ereignis anwesend sein wollten. Auch im Städel Museum wurde der Auktionskatalog sorgfältig studiert und der Kassenstand geprüft. Johann David Passavant (1787-1861), damaliger Städel-Inspektor und einer der besten Kunstkenner seiner Zeit, wurde gemeinsam mit einem Mitglied der Administration, des Aufsichtsrats des Museums, nach Amsterdam geschickt. Ihr Auftrag war die Ersteigerung eines kapitalen Bildnispaars, das Antonis van Dyck 1630/31 von Philippe Le Roy und seiner Frau Marie de Raet gemalt hatte. Doch bereits unmittelbar nach der Ankunft am Ort der Versteigerung wurde klar, dass die bereitgestellten Ankaufsmittel noch unter dem Aufrufpreis der beiden Bilder in der Auktion lagen – dieser Ankaufswunsch war also bereits vor der Versteigerung gestorben! So können Sie diese beiden großartigen Van Dyck-Bildnisse denn auch heute in der kleinen aber überaus feinen Wallace Collection in London betrachten, wohin sie mit der Sammlung des vierten Marquis von Hertford, der sie 1850 ersteigert hatte, gelangt sind.
Doch Passavant ließ sich nicht entmutigen und beobachtete den Auktionsverlauf mit größter Aufmerksamkeit. Als ein erbittertes Bietergefecht um die „Verkündigung an Maria“ entbrannte, war er mit den finanziellen Möglichkeiten des Städel Museums zwar auch rasch außen vor; das Bild wurde vom Vertreter des russischen Zaren Nikolaus I. für die Eremitage in St. Petersburg erworben. Dort befand sich das Werk, bis es 1933 unter Stalin gegen dringend benötigte westliche Devisen an den amerikanischen Sammler Andrew W. Mellon (1855-1937) verkauft wurde. Mellon schließlich schenkte das Gemälde zusammen mit seiner Sammlung dem amerikanischen Staat als Grundstock der Washingtoner National Gallery of Art 1937, in der es sich bis heute befindet.
Doch zurück zur Auktion in Amsterdam 1850: Nach dem erbitterten, preissteigernden Bietergefecht um die „Verkündigung“ war vorübergehend die Luft aus dem Versteigerungsgeschehen heraus und Passavant konnte nicht nur die „Lucca-Madonna“ Jan van Eycks äußerst günstig für das Städel Museum erwerben, sondern auch das frühe „Bildnis eines Mannes mit hoher roter Kappe“ von Hans Memling, weitere wichtige Gemälde sowie eine Reihe von Zeichnungen Raffaels, die dieser in Vorbereitung der Ausmalung der „Stanzen“, der päpstlichen Repräsentationsräume in Vatikan angefertigt hatte. So hatte sich die anfänglich ganz aussichtslos erscheinende Erwerbungssituation schließlich doch noch glücklich gewendet – ein Umstand, von dem alle Städel-Besucher, aber auch die Städel-Kuratoren bis heute erfreut und beglückt sind!
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