Transitorte, Grenzen und Stätten vergangener Kulturen – Ursula Schulz-Dornburg blickt auf Orte am Rande unserer westlichen Wahrnehmung. „The Land In-Between“ zeigt ihre Fotografien nun erstmals in einer Retrospektive.
Ein einzelner Lichtstrahl erhellt schemenhaft einen dunklen, durch einfaches Mauerwerk definierten Raum. Ein vielfältig changierendes Spiel aus Licht und Schatten, aus unterschiedlichsten Grauwerten lässt höhlenartige Behausungen im massiven Stein erkennen. Markante Gebilde aus Stahl und Beton tauchen in unwirtlichen Gegenden auf, monumental oder im menschlichen Maß. Eine Szenerie aus Schiffen, Zelten und Entdeckungsreisenden, doppelt festgefroren, in Eis und Schnee gleichermaßen wie im harten Licht des Kamerablitzes. Mauerreste, Ruinen, einfache Hütten aus Schilf ins Wasser gebaut, zeugen vom Vergehen und von Vergangenem.
Ursula Schulz-Dornburgs Bild-Welten sind Orte des Vergessenen und Verschwindens, Orte am Rande unserer westlichen Wahrnehmung, die doch im Zentrum unserer Gegenwart und unserer Vergangenheit verwurzelt sind. Gerade deswegen sind ihre Arbeiten durchdrungen von einer Vielzahl historischer, kultureller und politischer Subtexte. Sie verweisen auf Konflikte und ihre Orte, auf das Kommen und Gehen kultureller wie politischer Hegemonien und verwischen dabei die Grenzen zwischen Geschichte und Gegenwart. Sie sind Zeitdokumente, die in ihrer schwarz-weißen Mittelformat-Ästhetik Nostalgie und Unmittelbarkeit gleichermaßen transportieren.
Seit den frühen 1980er-Jahren und bis 2012 bereiste Ursula Schulz-Dornburg Transitorte, Grenzlandschaften und Stätten vergangener Kulturen in Europa, Asien und dem Nahen Osten. Mit der Ausstellung Ursula Schulz-Dornburg. The Land In-Between. Fotografien von 1980 bis 2012 zeigt das Städel Museum nun rund 250 ihrer Arbeiten – es ist die erste museale Retrospektive der Düsseldorfer Fotografin.
Schulz-Dornburgs Interesse gilt hauptsächlich außereuropäischen Kulturen, den Marscharabern in Mesopotamien, den Menschen, Landschaften und Geschichte(n) in den Ländern des ehemaligen Osmanischen Reiches oder der Sowjetunion, der gegenseitigen Beeinflussung von christlicher und islamischer Kultur im mittelalterlichen Spanien oder in den Bergen an der georgisch-aserbaidschanischen Grenze. Ihr Augenmerk liegt dabei auf den Bruchstellen zwischen Kulturen und Territorien, vor allem aber werden Landschaften, Orte und Architekturen in ihren Bildern zu Räumen, in denen die Zeit verschwimmt; zu Objekten, in die sich die unterschiedlichsten Zeiten und Ereignisse eingeschrieben haben. Hinter der nüchternen, vordergründig dokumentarisch anmutenden Bildsprache findet sich eine große Bandbreite an historischen und politischen Verweisen.
Schulz-Dornburgs Aufmerksamkeit für das Unvertraute speist sich wesentlich aus politischem Interesse und historischer wie journalistischer Neugierde. Und immer ist sie von einer tiefen Empathie geprägt. Schon früh reiste sie an Orte, die erst in jüngerer Zeit auf der Landkarte unseres westlichen Kulturbetriebes auftauchten. Die dort entstandenen Fotografien bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Konzept und Reportage, Politik und Ästhetik. In einem konzeptuellen Dazwischen, in diesem In-Between, lässt Schulz-Dornburg ihre Kunst in einem in alle Wissens- und Himmelsrichtungen sich verzweigenden soziokulturellen Kontext aufgehen.
Schulz-Dornburgs wohl bekannteste Serie, Transit Orte, Armenien (1996-2011), zeigt Bushaltestellen im postsowjetischen Armenien. Die fremd klingenden Titel der Fotografien benennen die Orte, zwischen denen die jeweilige Buslinie verkehrt, etwa Goris – Khndzoresk oder Armavir – Hoktemberjan. Von der jeweiligen Umgebung isoliert sind sie mittig und objekthaft ins Bild gesetzt. Gelegentlich finden sich Menschen vor oder im Schutz der Unterstände. Es sind Orte des Wartens, die sich ihrerseits im Vergehen – im Transit – befinden: marode Architekturen, denen man nicht ansieht, wo genau ihr desolater Zustand herrührt, ob sie noch nicht oder schon vor langer Zeit vollendet wurden.
In den 1970er- und 1980er-Jahren gebaut, versinnbildlichen sie die sozialistischen Architektur- und Gesellschaftsutopien der Sowjetzeit. Zugleich sind sie faszinierende architektonische Zeugnisse jener längst vergangenen und doch noch ungeheuer präsenten Epoche. Halb Skulptur, halb Pavillon, sind sie sowohl hinsichtlich ihrer expressiven Stilistik als auch ihrer Statik atemberaubende Monumente der frühen – in diesem Fall sowjetischen – Moderne.
Ursula Schulz-Dornburg arbeitet in Sequenzen. Jede einzelne Fotografie ist in eine Serie eingebettet, die teils mehrere Dutzend Werke umfasst. Durch diese Reihung findet eine Kontextualisierung statt, die in Bezug auf die geschichtlichen Ereignisse hinter den Bildern sowie deren Verortung sinnstiftend ist. Die Fotografien präsentiert sie in wandfüllenden, weit ausgreifenden Tableaus oder Rastern. Die Bilderreihen definieren kein eindeutiges Ende, es bilden sich Leerstellen im Raster, die der Vervollständigung harren und eine Offenheit bewahren.
In der reduzierten Serie Sonnenstand (1991/92) werden einfache sakrale Räume zum Ort eines überwältigenden Schauspiels. Auch hier vermittelt sich der Sinn nur, wenn der Betrachter Schritt für Schritt der Werkgenese folgt: Der Lauf der Sonne, also die Bewegung der Erde, wird anhand eines einzigen, langsam durch den minimalistischen Kirchenraum wandernden Lichtstrahls sichtbar. Auch hier wählt Schulz-Dornburg Orte des Dazwischen und der Vermischung unterschiedlicher Einflüsse – christliche und arabische Traditionen, die in einem einzigartigen Baustil zusammenfinden: schlichte Einsiedeleien oder Klausen mit mozarabischen Referenzen an der ehemaligen Grenze zwischen Christlichem und Osmanischem Reich.
Auch wenn Ursula Schulz-Dornburgs Fotografien meistens menschenleer sind, geht es ihr immer um den Menschen. Ihre Kamera fokussiert auf Landschaften, die über Jahrhunderte von ihren Bewohnern, aber auch von fremden Kräften geformt wurden. In ihnen bilden sich politische Strukturen, Gesellschaftsformen und Lebensbedingungen sowie deren Veränderungen ab. Die Bushaltestellen in Transit Orte, Armenien zeugen hiervon genauso wie die verschwundene Eisenbahnlinie in Von Medina an die jordanische Grenze oder – in einer ungleich brutaleren Diktion – die Atomwaffentestgelände in Opytnoe Pole und Chagan. So ist es nicht nur die Beschäftigung mit fremden Kulturen, die sich wie ein roter Faden durch die Arbeiten Ursula Schulz-Dornburgs zieht, sondern auch das Sichtbarmachen der zahlreichen geschichtlichen Ereignisse, die sich wie immer neue Schichten über Land und Leute legen.
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