Dreimal der heilige Hieronymus, aber nur einmal Albrecht Dürer: Unser erstes Bild des Monats im Jahr 2014 verdeutlicht ein zentrales Thema der aktuellen Dürer-Ausstellung im Städel Museum – den Einfluss des Nürnberger Künstlers in Europa.
Am 12. Juli 1520 verlässt Albrecht Dürer (1471–1528) mit seiner Frau Agnes die Heimatstadt Nürnberg, um in die Niederlande zu reisen. In Antwerpen wird er 1521 dem Faktor der portugiesischen Handelsniederlassung, Rodrigo Fernandes de Almada, den „Heiligen Hieronymus im Studierzimmer“ schenken, unser Bild der Monats. Seine niederländischen Zeitgenossen beeindruckt die darin präsentierte Bildfindung so stark, dass alleine aus der Werkstatt des Malers Joos van Cleve (1485–1540) 13 ähnliche Gemälde bekannt sind. Eine dieser Anlehnungen ist neben einer weiteren Adaption des Themas von Lucas van Leyden (1494–1533) sowie Dürers Ausgangswerk noch bis zum 2. Februar 2014 im Städel Museum zu sehen. Die Umstände rund um die Verbreitung der Tafel verdeutlichen wichtige Aspekte des Künstlerlebens um 1500.
Dürers Tafelbild „Der heilige Hieronymus im Studierzimmer“ zeigt den Kirchenvater Sophronius Eusebius Hieronymus (347–420 n. Chr.) in einem enggefassten Brustbild. Den Kopf aufgestützt sitzt er vor seinen Büchern, während sein Blick auf dem Betrachter ruht. Melancholisch sinnierend nimmt er weder Notiz von diesem noch von den Utensilien vor ihm. Er scheint in Meditation vertieft. Derweil streift der Zeigefinger seiner linken Hand über einen umgekippten Totenschädel – ein Zeigegestus auf das Symbol der Vergänglichkeit schlechthin.
Hinter dem Heiligen an der Wand hängt ein Kruzifix mit einem sehr vital dargestellten Jesus. Der Körper des Gekreuzigten ist proportional kleiner und weniger fein gemalt als der des Heiligen vor ihm – es ist ein Abbild im Bild. Doch durch die ähnliche Stofflichkeit der Körper sowie der Farbigkeit des Inkarnats erscheint er wie der Kirchenvater erstaunlich real. Schließlich verbindet eine diagonal abfallende Achse das Kruzifix mit dem Zeigegestus, den Kopf des Hieronymus einschließend.
Dürer lässt hier das in den Niederlanden beliebte Gelehrtenbildnis mit der Thematik des „Hieronymus im Gehäus“ verschmelzen, das er bereits 1514 als Meisterstich verarbeitete: Der in Buße vor Gott am Heiligen Wort arbeitende Kardinal ist in seiner Studierstube anzutreffen. Während im Stich Hieronymus in die letzte Ecke des Raumes verbannt ist, wird er im Gelehrtenbildnis zum Gegenüber des zeitgenössischen Renaissance-Betrachters. Dass es sich bei dem Porträtierten um einen 93-jährigen Antwerpener handelt, den Dürer in mehreren Vorstudien zeichnete, störte wohl niemanden. Denn obwohl auf den Löwen – das Attribut des Heiligen Hieronymus – verzichtet wird, bleibt die Darstellung ein Heiligenbild.
Besagter Übergabe des Werkes an Rodrigo Fernandes de Almada ging eine lange Kette schmeichelnder Schenkungen voraus: „Ebenso schenkte mir der Signor Roderigo von Portugal ein Fässchen voll eingemachten Zuckers allerlei Sorten, worin auch eine Schachtel Zuckerkandis, ferner zwei grosse Schüsseln voller Zuckerpenit, Marzipan und allerlei anderes Zuckerwerk und einige Zuckerrohe, so wie sie wachsen“, so berichtet uns Dürer. Der Süßigkeiten-Bestechungsversuch glückte und der Künstler revanchierte sich mit einer umfangreichen Sammlung an Druckgrafiken.
Zuckerrohr war ein wichtiges Handelsgut der Portugiesen – ebenso wohl exotische Tiere: Es folgten ein kleiner grüner Papagei für Ehefrau Agnes sowie ein weiterer Vogel und ausgewählte Federn, aber auch Nüsse, Kunsthandwerk, Korallen und Delikatessen. Im März 1521 überließ Dürer dem Handelspartner endlich das Tafelbild. Was heute etwas umständlich wirkt entsprach den zeitgenössischen Gepflogenheiten mit anfangs kleinen Gesten eine beständige Handelsbeziehung aufzubauen. Doch nicht immer war dieses Tasten von Erfolg gekrönt. Zur Enttäuschung des Künstlers folgte etwa im Falle von Magarete von Österreich nicht der erhoffte Auftrag.
Dürers Bild sorgte für Furore in Antwerpen. Für viele Humanisten war Hieronymus menschliches Vorbild und respektierter philosophischer Denker. So kann es kaum wundern, dass Dürers malerisches Können gepaart mit einer Darstellung des Lieblingsheiligen der aktuellen Elite eine Adaptionswelle auslöste. Lucas van Leyden etwa nimmt Dürers Bildmotiv auf. Nicht die Analogie der Körper, sondern der starre Blick aufs Kruzifix betont jetzt die gottgeweihte Lebenshaltung.
Anders geht Joos van Cleve vor. In der Ausstellung gezeigten Version des Dürer-Werkes erweitert er das Thema durch eine stärker moralisierende Komponente: Umgeben von zusätzlichen Vanitas-Motiven liegt vor dem Gelehrten das Matthäus-Evangelium aufgeschlagen: „Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr die Becher und Schüsseln außen reinigt, innen aber sind sie voller Raub und Gier!“ Dürer hatte vorgelegt – seine niederländischen Kollegen folgten.
Wie bereits im Blogartikel „Auf dem Weg zum deutschen Meister“ zu lesen war, ist die Reise in die Niederlande Dürers letzte, triumphale Fahrt seiner vielen Reisen. Lukrativ war sie wohl nicht: „Ich hab in allen meinen machen, zehrungen, verkaufen und andrer handlung nachthail gehabt jm Niederland“. Ob man „einen Dürer“ in Papageien aufwiegen kann? Vielleicht dachte der Künstler bei dieser Aussage gerade an seinen Tauschhandel mit de Almada. Doch das beste Geschäft bei Dürers Aufenthalt in Antwerpen haben sicher seine Malerkollegen gemacht, die den frischen Impuls für sich nutzen konnten.
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