Welche Bedeutung haben die Bechers und ihre berühmten Schüler heute für junge Künstler? Wir haben mit drei Studenten der Städelschule die Becher-Klasse-Ausstellung besucht und sie gefragt.
Wir treffen uns genau in der Mitte: auf dem grünen Hügel zwischen Städel Museum und Städelschule. Ivan Murzin, Natalia Rolón und James Tunks studieren nebenan an der Kunsthochschule.
Gemeinsam nehmen wir heute den Hintereingang in die Ausstellung zur Becher-Klasse, es ist Montag und das Museum eigentlich geschlossen. Die Wetterbedingungen sind dem Anlass entsprechend, stellt Ivan Murzin auf dem Weg dorthin fest: „Der Himmel ist so bewölkt wie bei den Fotografien von Bernd und Hilla Becher.“
Bei eben jenen Bechers bleiben wir dann auch gleich als erstes stehen. Ihre Aufnahmen historischer Industrieanlagen und Fachwerkhäuser, zusammengefügt zu mehrteiligen Tableaus, bilden den Auftakt der Ausstellung „Fotografien werden Bilder“. Das Thema der Serie findet Ivan Murzin, der bereits in Moskau ein Fotografiestudium abgeschlossen hat, besonders spannend. Durch die Abfolge von Bildern entstehe ein Dialog zwischen den einzelnen Abbildungen der Objekte, das Einzelwerk trete zugunsten der Gesamtheit in den Hintergrund. Die Fotografien der Bechers eröffnen dem Betrachter neue Sehweisen: „Sie regen an und lassen mich als Betrachter eigene Entdeckungen machen“, sagt er. Überhaupt hätten die Bechers mit ihrer Art der Fotografie ein neues objektives Sehen etabliert, das auf die Neue Sachlichkeit der 1920er-Jahren zurückzuführen sei, eine analytische Betrachtungsweise fernab von Emotionen. Viele der Becher-Schüler, darunter Tata Ronkholz, Axel Hütte oder Volker Döhne, haben das Thema der Serie in ihren eigenen Arbeiten aufgegriffen. Aber auch in anderen Punkten, etwa bei der Motivwahl, wird gerade bei den frühen Fotografien der Becher-Klasse die Nähe zu den Lehrern deutlich.
Wie arbeiten die drei „Städel-Schüler“ heute mit ihren Kunstprofessoren zusammen? „Der Fokus liegt – neben dem technischen Lehren – auf einem permanenten Austausch“, sagt James Tunks, Student in der Filmklasse von Douglas Gordon, „so kommen immer wieder neue Fragestellungen auf, die einen selbst künstlerisch antreiben.“ Auch Natalia Rolón, Malerin in der Klasse von Michael Krebber/Josef Strau, sieht den Dialog zwischen Professor und Student als essentiell für ihre Ausbildung an.
Bernd und Hilla Becher unterrichteten zwischen 1976 und 1996 an der Düsseldorfer Kunstakademie – es war damals der erste Lehrstuhl für künstlerische Fotografie. An der Städelschule gibt es heute keine reinen Maler-, Fotografie- oder Filmklassen mehr. Junge Künstler beschäftigen sich mit verschiedenen Medien, um einen individuellen Stil herauszubilden. Ivan Murzin, der vorwiegend mit Fotografie und Film arbeitet, wird von der Bildhauerin Judith Hopf unterrichtet.
Natalia Rolón ist Malerin. Was sieht sie in den Fotografien der Ausstellung? Vor allem die großformatigen Werke von Thomas Struth oder Candida Höfer findet sie inspirierend. Das Durchkomponierte und Inszenierte macht für sie die Grenze zur Malerei fließend: „Das sind keine Schnappschüsse, du musst dir für so eine Fotografie Zeit nehmen” – so wie sie selbst es in ihrem Atelier tut, wenn sie ein Gemälde konzipiert. Die Grenzverschiebung zwischen den Gattungen sieht sie auch im Bildformat. War es lange Zeit der Malerei vorbehalten, sich großformatigen Leinwänden zu bedienen, beansprucht die Fotografie seit den 1980er-Jahren die gleichen Maße für sich.
Digitale Bildbearbeitung, derer sich Künstler wie Thomas Ruff, Andreas Gursky und Jörg Sasse seit den 80ern bedienten, sind heute fester Bestandteil des künstlerischen Schaffens, auch bei Ivan Murzin und James Tunks. Die Fotografien von James Tunks sind gleichzeitig figurativ und gegenstandlos. In einer seiner Arbeiten erzeugen zerkleinerte und pulverisierte Objekte einen illusionistischen Sternenhimmel, der an die berühmte Sternenhimmel-Serie (1990) von Thomas Ruff erinnert. Vor einer dieser Fotografien stehen wir mittlerweile in der Ausstellung. Ruffs Bilder bewegten sich zwischen Sichtbarem, Unsichtbarem, Nähe und Unendlichkeit, sagt James Tunks. Mit einer Aussage Ruffs kann er besonders viel anfangen: Bilder entstünden erst im Kopf, nicht vor dem Auge, gibt er sinngemäß wider. Fotografien würden so zu Illusionen der Wirklichkeit, die Raum lassen für den Betrachter. Er entscheide am Ende selbst, was er in den Abbildungen sieht.
Das künstlerische Vermächtnis der Becher-Schule – den Moment der Wirklichkeitsaneignung und der gleichzeitigen Hinterfragung dieser Wirklichkeit, die Grenzüberschreitung zwischen Malerei und Fotografie und die digitale Bildbearbeitung – all das sind Aspekte, die die Fotografie nachhaltig verändert haben. Diese Themen spielen in den Fotografien von Ivan Murzin und James Tunks nach wie vor eine große Rolle. Aber auch Natalia Rolón sieht Parallelen zwischen den durchkomponierten Werken einiger Becher-Schüler und ihrer eigenen Arbeitsweise als Malerin.
Auch wenn die heutige Lehre an der Städelschule sich unterscheidet von der an der Düsseldorfer Kunstakademie zur Zeit der Bechers, ist eines für die Schüler doch gleich geblieben: das Finden und Entwickeln eines eigenen künstlerischen Stils, der sich von den eigenen Vorbildern emanzipiert.
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