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Was sagen die Nachwuchs­künstler?

Welche Bedeutung haben die Bechers und ihre berühmten Schüler heute für junge Künstler? Wir haben mit drei Studenten der Städelschule die Becher-Klasse-Ausstellung besucht und sie gefragt.

Cosima Grosser — 28. Juli 2017

Wir treffen uns genau in der Mitte: auf dem grünen Hügel zwischen  Städel Museum und Städelschule. Ivan Murzin, Natalia Rolón und James Tunks studieren nebenan an der Kunsthochschule.

Treffen über der Gegenwartskunst im Städel: Ivan Murzin, Natalia Rolón und James Tunks mit Cosima Grosser (v. l. n. r.)

Treffen über der Gegenwartskunst im Städel: Ivan Murzin, Natalia Rolón und James Tunks mit Cosima Grosser (v. l. n. r.)

Gemeinsam nehmen wir heute den Hintereingang in die Ausstellung zur Becher-Klasse, es ist Montag und das Museum eigentlich geschlossen. Die Wetterbedingungen sind dem Anlass entsprechend, stellt Ivan Murzin auf dem Weg dorthin fest: „Der Himmel ist so bewölkt wie bei den Fotografien von Bernd und Hilla Becher.“

Bei eben jenen Bechers bleiben wir dann auch gleich als erstes stehen. Ihre Aufnahmen historischer Industrieanlagen und Fachwerkhäuser, zusammengefügt zu mehrteiligen Tableaus, bilden den Auftakt der Ausstellung „Fotografien werden Bilder“. Das Thema der Serie findet Ivan Murzin, der bereits in Moskau ein Fotografiestudium abgeschlossen hat, besonders spannend. Durch die Abfolge von Bildern entstehe ein Dialog zwischen den einzelnen Abbildungen der Objekte, das Einzelwerk trete zugunsten der Gesamtheit in den Hintergrund. Die Fotografien der Bechers eröffnen dem Betrachter neue Sehweisen: „Sie regen an und lassen mich als Betrachter eigene Entdeckungen machen“, sagt er. Überhaupt hätten die Bechers mit ihrer Art der Fotografie ein neues objektives Sehen etabliert, das auf die Neue Sachlichkeit der 1920er-Jahren zurückzuführen sei, eine analytische Betrachtungsweise fernab von Emotionen. Viele der Becher-Schüler, darunter Tata Ronkholz, Axel Hütte oder Volker Döhne, haben das Thema der Serie in ihren eigenen Arbeiten aufgegriffen. Aber auch in anderen Punkten, etwa bei der Motivwahl, wird gerade bei den frühen Fotografien der Becher-Klasse die Nähe zu den Lehrern deutlich.

Ivan Murzin: Path to the island, 2017, © Ivan Murzin, 2017

Ivan Murzin: Path to the island, 2017, © Ivan Murzin, 2017

Wie arbeiten die drei „Städel-Schüler“ heute mit ihren Kunstprofessoren zusammen? „Der Fokus liegt – neben dem technischen Lehren – auf einem permanenten Austausch“, sagt James Tunks, Student in der Filmklasse von Douglas Gordon, „so kommen immer wieder neue Fragestellungen auf, die einen selbst künstlerisch antreiben.“ Auch Natalia Rolón, Malerin in der Klasse von Michael Krebber/Josef Strau, sieht den Dialog zwischen Professor und Student als essentiell für ihre Ausbildung an.

Bernd und Hilla Becher unterrichteten zwischen 1976 und 1996 an der Düsseldorfer Kunstakademie – es war damals der erste Lehrstuhl für künstlerische Fotografie. An der Städelschule gibt es heute keine reinen Maler-, Fotografie- oder Filmklassen mehr. Junge Künstler beschäftigen sich mit verschiedenen Medien, um einen individuellen Stil herauszubilden. Ivan Murzin, der vorwiegend mit Fotografie und Film arbeitet, wird von der Bildhauerin Judith Hopf unterrichtet.

Natalia Rolón ist Malerin. Was sieht sie in den Fotografien der Ausstellung? Vor allem die großformatigen Werke von Thomas Struth oder Candida Höfer findet sie inspirierend. Das Durchkomponierte und Inszenierte macht für sie die Grenze zur Malerei fließend: „Das sind keine Schnappschüsse, du musst dir für so eine Fotografie Zeit nehmen” – so wie sie selbst es in ihrem Atelier tut, wenn sie ein Gemälde konzipiert. Die Grenzverschiebung zwischen den Gattungen sieht sie auch im Bildformat. War es lange Zeit der Malerei vorbehalten, sich großformatigen Leinwänden zu bedienen, beansprucht die Fotografie seit den 1980er-Jahren die gleichen Maße für sich.

Natalia Rolón: Atelier Dramatics (atelier), 2016, © Natalia Rolón, 2017

Natalia Rolón: Atelier Dramatics (atelier), 2016, © Natalia Rolón, 2017

Digitale Bildbearbeitung, derer sich Künstler wie Thomas Ruff, Andreas Gursky und Jörg Sasse seit den 80ern bedienten, sind heute fester Bestandteil des künstlerischen Schaffens, auch bei Ivan Murzin und James Tunks. Die Fotografien von James Tunks sind gleichzeitig figurativ und gegenstandlos. In einer seiner Arbeiten erzeugen zerkleinerte und pulverisierte Objekte einen illusionistischen Sternenhimmel, der an die berühmte Sternenhimmel-Serie (1990) von Thomas Ruff erinnert. Vor einer dieser Fotografien stehen wir mittlerweile in der Ausstellung. Ruffs Bilder bewegten sich zwischen Sichtbarem, Unsichtbarem, Nähe und Unendlichkeit, sagt James Tunks. Mit einer Aussage Ruffs kann er besonders viel anfangen: Bilder entstünden erst im Kopf, nicht vor dem Auge, gibt er sinngemäß wider. Fotografien würden so zu Illusionen der Wirklichkeit, die Raum lassen für den Betrachter. Er entscheide am Ende selbst, was er in den Abbildungen sieht.

James Tunks: Crushed and pulverized 35mm Minolta wide angle lens, still photograph from Stanley Kubrick’s 2001: A Space Odyssey, aspirin migräne, coconut, viewfinder prism, paperback copy of Jorge Luis Borges ‘Labyrinths’, found hunting arrow, Icelandic flag sew on embroidered patch, ground espresso, page from Francois Laurelle’s ‘ The Concept of Non Photography, pistachio husks, photograph of lion paintings from Chauvets Cave, dried hibiscus, 2017, © James Tunks, 2017

James Tunks: Crushed and pulverized 35mm Minolta wide angle lens, still photograph from Stanley Kubrick’s 2001: A Space Odyssey, aspirin migräne, coconut, viewfinder prism, paperback copy of Jorge Luis Borges ‘Labyrinths’, found hunting arrow, Icelandic flag sew on embroidered patch, ground espresso, page from Francois Laurelle’s ‘ The Concept of Non Photography, pistachio husks, photograph of lion paintings from Chauvets Cave, dried hibiscus, 2017, © James Tunks, 2017

Das künstlerische Vermächtnis der Becher-Schule – den Moment der Wirklichkeitsaneignung und der gleichzeitigen Hinterfragung dieser Wirklichkeit, die Grenzüberschreitung zwischen Malerei und Fotografie und die digitale Bildbearbeitung – all das sind Aspekte, die die Fotografie nachhaltig verändert haben. Diese Themen spielen in den Fotografien von Ivan Murzin und James Tunks nach wie vor eine große Rolle. Aber auch Natalia Rolón sieht Parallelen zwischen den durchkomponierten Werken einiger Becher-Schüler und ihrer eigenen Arbeitsweise als Malerin.

Auch wenn die heutige Lehre an der Städelschule sich unterscheidet von der an der Düsseldorfer Kunstakademie zur Zeit der Bechers, ist eines für die Schüler doch gleich geblieben: das Finden und Entwickeln eines eigenen künstlerischen Stils, der sich von den eigenen Vorbildern emanzipiert.

Die Städel-Schüler in der Becher-Klasse: Ivan Murzin (1985 Irkutsk, Russland), links, studiert seit 2013 bei Judith Hopf. Natalia Rolón (1981 Buenos Aires, Argentinien), vorne, studiert bei Micheal Krebber/Josef Strau. James Tunks (*1988 Melbourne, Australien), hinten, studiert seit 2017 als Meisterschüler bei Douglas Gordon.


Die Autorin Cosima Grosser ist wissenschaftliche Hilfskraft in der Abteilung Gegenwartskunst und studiert an der Goethe Universität und der Städelschule den Masterstudiengang „Curatorial Studies“ . 

Die Ausstellung Fotografien werden Bilder. Die Becher-Klasse läuft noch bis zum 13. August 2017 im Städel.

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