„Den 30. Januar 1555 das Kreuz der Figur begonnen, die das Kind beweint. Den 31. das spärliche Tuch um die Hüften gemacht, es war Schlechtwetter und die zwei Tage tat mir Magen und Darm weh.“ So beginnt das Tagebuch des Jacopo Pontormo, das sowohl seine Arbeit dokumentiert als auch seine Ernährung.
Dass das Tagebuch des damals knapp 60-Jährigen bald das Einzige sein würde, was noch von seiner Arbeit in San Lorenzo erhalten bleiben würde, hatte sich Jacopo Pontormo (1494–1557) wohl nicht gedacht. Seit 1546 malte der Florentiner Künstler im Auftrag Cosimo de‘ Medicis den Chor der Basilika aus. Diese diente seit dem 15. Jahrhundert als Pfarrkirche und Grablege der Familie Medici in Florenz. Bis zu seinem Tod im Januar 1557 gelang es Pontormo jedoch nicht, seinen umfangreichen Freskenzyklus mit Darstellungen aus dem Alten und Neuen Testament fertigzustellen. Die Vollendung übernahm schließlich sein Schüler und langjähriger Freund Agnolo Bronzino (1503–1572). Doch lange blieb das Werk nicht erhalten: Wegen eines statischen Umbaus im Jahr 1742 wurden die Fresken vollständig zerstört. So sind Pontormos Kritzeleien und mitunter lakonische Notizen in seinem Tagebuch – neben einigen Zeichnungen – die einzigen Zeugen für die Ausgestaltung des Chores der Florentiner Basilika.
In der derzeitigen Sonderausstellung „Maniera – Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici“ finden sich aus diesem Grund nicht nur Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und ein Architekturmodell – ganz am Ende des Rundgangs ist eben auch jenes originale Tagebuch von Pontormo ausgestellt, welches faszinierende wie beiläufig-banale Einblicke in den Arbeitsalltag des Künstlers vor über 500 Jahren gibt. Neben den Beschreibungen des aktuellen Tagewerks finden sich zumeist kleinere, flüchtig erstellte Skizzen, die den fortschreitenden Werkprozess verdeutlichen und Einblicke in die Herstellung und Planung der Fresken liefern. Das illustrative Beiwerk bebildert die knappen Beschreibungen, die selten detaillierter als „den Arm der Figur angefangen und zwar so“ ausfallen und daher ohne die zusätzliche Bebilderung recht kryptisch wirken. Zudem ist zu entnehmen, dass Pontormo sich oftmals über mehrere Tage hinweg in seinem Haus verkroch, zeichnete und keinen Besuch empfing. Auch Unsicherheiten und Unzufriedenheit mit dem eigenen Werk werden in der in seinem Tagebuch beschriebenen Überarbeitung bereits fertiggestellter Partien deutlich.
Gleichzeitig dokumentiert das Tagebuch den Lebensalltag des Künstlers. So berichtet der Maler von Schaffenskrisen und produktiven Phasen, von schlechtem Wetter und seiner „Mühe mit Dunkelheit, Wind und Verputz“. Die Berichte seines Arbeitsfortschrittes sind dabei in seine täglichen Notizen eingebettet. Beinahe scheint es, als seien sie in den detaillierten Auflistungen seiner Essgewohnheiten und sich daran anschließenden Protokollen seines Gesundheits- und Verdauungszustandes „versteckt“. Dabei setzt sich Pontormo in seinem Tagebuch mit allem auseinander, was für ihn von elementarer Bedeutung für sein alltägliches Leben schien. Das mögen scheinbar banale Sachen wie das Wetter sein. Aber auch der Streit mit dem Verwalter oder eine Notiz über die bereits bezahlte Miete finden ebenso Einzug in seine lakonischen Einträge wie der Tod des Bildhauers und Bildschnitzers Giovanni Battista del Tasso am 8. Mai 1555. Letztlich wirken seine Einträge dadurch ebenso zeitlos wie aktuell. So schrieb der Maler am 21. März 1555: „Donnerstagmorgen zeitig aufgestanden, sah so schlechtes Wetter, Regen und Wind und Kälte, dass ich nicht arbeitete und zu Hause blieb.“
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