Pauline Kowarzik war Künstlerin, Sammlerin, Mäzenin und, so ihr Nachruf, „eine seltene Frau!“: Sie setzte sich nicht nur für die moderne Sammlung im Städel, sondern auch für notleidende Künstler ein – bis sie selbst in Schwierigkeiten geriet.
Das in leuchtenden Pastellfarben strahlende Gemälde von Maurice Denis zeigt seine Familie beim Frühstück an einem Sommermorgen. Diese unbeschwerte Stimmung bildet einen jähen Kontrast zu der dramatischen Krise, die seinem Verkauf an das Städel Museum vorausging: Als das Museum das Gemälde vor fast hundert Jahren, im Juni 1926, erwarb, erholte sich die junge Weimarer Republik gerade von einer brutalen Hyperinflation. Unzählige Familien hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Ersparnisse verloren, und auch den Museen fehlten die Ankaufsmittel. Die Besitzerin des Gemäldes, Pauline Kowarzik, war damals in eine finanzielle Notlage geraten und musste nun ihre Privatsammlung moderner französischer und deutscher Kunst auflösen. Sie verkaufte sie en bloc gegen eine monatliche Leibrente von 500 Reichsmark an das Städel.
Bevor das Frühstück von Denis in den Ausstellungsräumen des Museums zu sehen war, hing es in Pauline Kowarziks privatem Kunstsalon im Frankfurter Westend. Eine befreundete Kunsthistorikerin beschrieb die exquisite Privatsammlung rückblickend: „ ... der sommerlich heitere Maurice Denis ‚Auf der Terrasse,‘ die köstliche Freilichtstudie eines Frauenaktes von H.E. Cross, ein delikates Stilleben von Braque, ein koloristisch kühner Nolde, einige charakteristische Heckel, Franz Marc mit einem großzügigen blonden Frauenakt, Munch, Klee, Paula Modersohn, Campendonk und andere Werke, die seit Jahren im Staedel hängen, schmückten noch während des Krieges zwei große, ineinandergehende Räume mit weiten Fenstern ... “
Heute weiß kaum jemand, dass Pauline Kowarzik 1916 die erste Frau mit beratender Funktion im Ankaufsgremium der Städtischen Galerie im Städel war, ebenso wenig wie dass sie auch als Stifterin den Aufbau der modernen Abteilung des Museums maßgeblich prägte.
Pauline Kowarzik, geb. Fellner und verwitwete von Guaita, wurde 1852 in Frankfurt geboren und wuchs in einem bildungsbürgerlichen Umfeld auf. Sie erhielt bereits in jungen Jahren privaten Mal- und Zeichenunterricht. Etwa um die Jahrhundertwende nahm Kowarzik Unterricht bei dem Neo-Impressionisten Curt Herrmann, später außerdem bei Heinrich Campendonk. Somit hatte sie auch technische Kenntnisse der zeitgenössischen Malweisen.
Ihr erster Ehemann, Louis Hermann von Guaita, verstarb nur wenige Jahre nach der Hochzeit und ließ die Witwe mit zwei Kindern zurück. Als die beiden bereits erwachsen waren, ging Pauline von Guaita 1896 eine zweite Ehe mit dem Wiener Bildhauer und Medailleur Josef Kowarzik ein, der auch am Städelschen Kunstinstitut Skulptur unterrichtete. Gemeinsam waren sie im Frankfurter Kunstleben sehr aktiv. Besonders engagierte sich das Ehepaar in der mit dem Städelschen Kunstinsitut eng verbundenen Künstlervereinigung Frankfurter Künstlergesellschaft.
Im September 1909 – Josef Kowarzik war unheilbar erkrankt – verfasste das Ehepaar ein Testament, das mit dessen Ableben die Verwendung ihres Vermögens zu einer Stiftung vorsah. Der Josef und Pauline Kowarzik Hilfsfonds hatte die Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst zum Ziel. Die Stiftung sollte vor allem Künstler berücksichtigen, deren Wirkungskreis sich im Umkreis der Städte Frankfurt am Main, Darmstadt, Karlsruhe, Düsseldorf, Stuttgart und Straßburg befand. Die Kowarziks hatten insbesondere notleidende Künstler im Blick, als sie verfügten: „Liegt der Fall vor, dass ein freischaffender Künstler von bekanntem idealen Wert auf seiner Bahn durch Krankheit oder Misserfolge zusammengebrochen ist, so soll dieser Fall zunächst berücksichtigt werden.“
Im März 1911 verstarb Josef Kowarzik, sodass die Stiftung wenige Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs zur Anwendung kam. Das Städel Museum erhielt in den folgenden Jahren eine Reihe von Werken regionaler, heute kaum mehr bekannter Künstler wie Karl Albiker, Hermann Haller und Alexander Soldenhoff als Dauerleihgaben der Pauline und Josef Kowarzik Stiftung.
Im Kriegsjahr 1916 wurde Pauline Kowarzik im Alter von 64 Jahren zur ersten Frau mit beratender Stimme in die Deputation der Städtischen Galerie berufen. Die sogenannte Galeriedeputation setzte sich damals zusammen aus dem Oberbürgermeister der Stadt, städtischen Beamten und dem Direktor des Städel Museums, Georg Swarzenski, sowie Mitgliedern der Städel Administration und des Städelschen Museums-Vereins. Während Kowarziks Tätigkeit als Fachmitglied realisierte das Museum bedeutende zeitgenössische Gemäldeerwerbungen, unter anderem von Franz Marc, Ernst Ludwig Kirchner, Henri Matisse und Max Beckmann.
1917 gründete Kowarzik gemeinsam mit einer Gruppe von Kunsthistorikern und Künstlern die Vereinigung für Neue Kunst mit dem Ziel, „eine Brücke zwischen Kunst und Welt“ zu schlagen und die zeitgenössischen Künstler durch Vorträge, Ausstellungen und Ankäufe zu fördern. Der progressive Impuls der Vereinigung für Neue Kunst wurde jedoch bald von der herannahenden wirtschaftlichen Krise überschattet. Kowarzik sah sich nun gezwungen, ihre Stiftung innerhalb kürzester Zeit aufzulösen. Die Dauerleihgaben gingen – so sah es die Stiftungssatzung im Notfall vor – in das Eigentum des Museums über. Schließlich musste Kowarzik aus finanziellen Gründen ein Jahr später, 1926, auch ihre Privatsammlung moderner Kunst an die Städtische Galerie im Städel verkaufen und erhielt im Gegenzug eine monatliche Leibrente und den Erlass städtischer Steuern.
Städel Direktor Georg Swarzenski hatte die insgesamt 34 Stücke der Sammlung, darunter auch Gemälde von Cross, van Dongen, Gauguin, Rousseau und Serusier und Modersohn-Becker mit einer Summe von 56.300 RM bewertet. Durch die regelmäßige Auszahlung konnte Kowarzik, die sich über Jahrzehnte für die junge Kunst und die Finanzierung notleidender Künstler eingesetzt hatte, nun ihre eigene Existenz sichern – und sich weiterhin ihren eigenen künstlerischen Aktivitäten widmen.
Bis zuletzt arbeitete sie an einer Serie von Pastellzeichnungen des IG Farben Baugeländes, das sie von ihrem Fenster aus beobachten konnte. „Eine seltene Frau! Voll Elan und Enthusiasmus bis in ihr hohes Alter, voll Sinn für die Reize einer jungen Kunst, – die zwei Generationen von ihr entfernt war. Ein schaffensfreudiger Mensch – bis an die Schwelle des Todes,“ schrieb die Kunstzeitschrift Der Cicerone in ihrem Nachruf.
Wieso Pauline Kowarzik dennoch in Vergessenheit geraten ist? Das hängt sicherlich auch mit dem Schicksal ihrer Sammlung während der NS-Zeit zusammen. Durch die Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ wurde die Sammlung Kowarzik im Städel größtenteils zerschlagen. Insgesamt 18 der 34 Werke wurden im Auftrag des Reichspropagandaministeriums entfernt. Sie sind heute entweder verschollen oder befinden sich in Museen in Deutschland, Belgien, Irland und in der Schweiz.
Einige Glanzstücke ihrer Sammlung sind dem Städel jedoch erhalten geblieben, darunter Meisterwerke wie Henri Rousseaus Die Allee im Park von Saint-Cloud, Paul Sérusiers Kleine Landschaft mit Tangfischern und eben auch Maurice Denis’ Frühstück. Sie alle hingen einst im privaten Salon von Pauline Kowarzik und zeugen heute im Städel von ihrem Engagement für die moderne Kunst.
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